Jeden Tag eilen neue Erfolgsmeldungen durch die Medien: Künstliche Intelligenz (KI) rettet Leben, weil sie Hautkrebs schnell erkennt. KI schützt das Klima, weil sie Modelle für entwickelt. KI bewahrt vor Unfällen, weil sie bei Gefahr rasch auf die Bremse tritt. KI hilft in der Archäologie, weil sie Keilschriften ent rätselt. KI macht Wohngebiete sicher, weil sie Einbrüche voraussagt … Eine , die das Leben vieler Menschen in Zukunft verbessern könnte – und bereits weltweit Umsätze in Milliardenhöhe auslöst. Warum dann eine „Kritik der künstlichen Vernunft“? Warum die Frage aufwerfen, ob Künstliche Intelligenz ein auf das menschliche Bewusstsein ist? (...)
Es geht unter anderem um die Neuroplastizität im menschlichen Gehirn, den Unterschied zwischen einer „schwächenden“ und einer „stärkenden“ KI, die perfekte Täuschung durch „Sora“-Videos, die Illusion der Entlastung durch Technologie und die wissenschaftliche Hypothese kognitiver Verflachung. Stichworte sind aber auch die Halluzinationen von ChatGPT, das Problem der reduzierten Schreibkompetenz durch Sprachmodelle, die Entmündigung durch KI-Beratungstools und der Angriff auf das menschliche Bewusstsein. Und am Ende geht es nicht zuletzt um den drohenden Verlust unserer Freiheit, der durch eine Dominanz der KI zu befürchten ist.
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Können Bibel und Goethe etwas dazu beitragen, ChatGPT und Co. besser zu verstehen? Wäre es dabei sinnvoll, sich ebenfalls mit Marshmallows zu beschäftigen? Dreimal lautet die Antwort „Ja“, denn diese Sprachmodelle lassen sich als große Versuchung interpretieren, menschliche Fähigkeiten unermesslich zu steigern.
Vierzig Tage hatte Jesus in der Wüste gefastet, ihn plagte großer Hunger. Da kam der Teufel und versuchte, ihn geschickt zu manipulieren: „Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden.“ Doch Jesus widerstand und sprach die berühmten Worte: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.“
Warum hatte er sich dem Teufel verweigert? Ein Bauer sät im Frühjahr seine Äcker ein, langsam wachsen die Halme heran, Wind und Wetter ausgesetzt. Die Ähren bilden sich aus, das Korn reift – und im Herbst ist Erntezeit. Ein organischer Prozess, der seine Zeit braucht. Und das fertige Brot liegt erst im Laden, wenn weitere Zwischenschritt erfolgen: Dreschen, Mahlen, Backen usw.
Genau diese langwierige Prozedur, fordert der Teufel, soll Jesus brutal verkürzen. Ein Wort als „Gottes Sohn“, und schon hätte er Brot in der Hand, um den bohrenden Hunger zu stillen. Was für eine Versuchung! Statt Wachstum ein Blitzschlag, statt Geduld und Ruhe rasante Resultate mit atemberaubender Effizienz. Zugleich würde Jesus alle Grenzen der Natur sprengen, deren friedliche Wachstumsprozesse überflüssig werden. Stein wird schlagartig zu Brot. Heute würde das Silicon Valley von einer „disruptiven Technologie“ sprechen. (...)
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Alle Welt „chattet“ über ChatGPT, den neuesten Digital-Hit aus dem Silicon Valley. Ein weiterer Triumph der Künstlichen Intelligenz – oder ein bitterer Angriff auf das menschliche Bewusstsein? Der eine Schüler sitzt frustriert auf einer grauen Couch und klagt: „Schülerleben … Du ewige Kette der Enttäuschungen“.
Sein Kumpel hockt zusammengekrümmt auf dem Boden, auch er ist miserabel gelaunt und sagt: „ChatGPT … KI-Erkennungssoftware.“ Wer diese Karikatur der „Frankfurter Rundschau“ nicht versteht, ist in guter Gesellschaft. Bis zum Herbst 2022 kannte niemand das Kürzel ChatGPT. Dann breitete es sich rasend-schnell über den Planeten aus – als das „next big thing“ aus dem Silicon Valley. (...)
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KI kann ein Instrument für Feiglinge sein, die keine eigenen Entscheidungen treffen wollen. Dagegen müssen Unternehmer Unsicherheit aushalten, wozu viel Mut gehört.
Wer Mut hat, kann verkrustete Marktverhältnisse aufbrechen. Ein Beispiel: Gottlieb Duttweiler stellte in den 1920er Jahren fest, dass die Lebensmittelhändler in Zürich überzogene Preise verlangten. Darauf gründete er mit Freunden die Firma „Migros“. Das neue Unternehmen brachte auf fünf kleinen Lastwagen Ware zu 178 Verkaufsstellen, wo sie nur bis zu eine Viertelstunde Station machten. Das Angebot hatte einen geringen Umfang: Teigwaren, Zucker, Kaffee, Reis, Kokosfett und Seife – aber alles in Großpackungen. Dazu gab es Flugblätter, auf denen zu lesen war, warum die Ware trotz hoher Qualität so günstig gewesen ist. (...)
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Chefredakteur Jens Heisterkamp stellt neues Info3-Buch vor: "Neulich staunte ich nicht schlecht, als ich eine Ankündigung des Recherchenetzwerks Correctiv las: da wurde unter wahren Jubelchören eines berühmten Journalisten (so viel sei verraten: ein Spiegel-Urgestein) für ein gemeinsam entwickeltes KI-Programm geworben, das Journalisten beim Verfassen von Texten unterstützen soll – Qualitäts-Journalismus auf Knopfdruck sozusagen. Ich konnte es kaum fassen, dass ein verdienter Autor sich auf so etwas einlässt! Das Beispiel ist selbstverständlich nur eines von vielen dafür, wie selbstverständlich Künstliche Intelligenz inzwischen unseren Alltag (mit)bestimmt.
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Komplizierte Zusammenhänge im flüssigen Erzählton
Der Autor und Fachreferent Ingo Leipner hat sich intensiv mit diesen Entwicklungen befasst und sieht eine Gefahr als besonders gravierend an: Künstliche Intelligenz bedeutet einen Angriff auf unser Bewusstsein, auf unser eigenes kreatives Potenzial als Menschen, und, was das Schreiben von Texten angeht, speziell auf die Fähigkeiten des produktiven Nachdenkens und Formulierens. Ein Leitkriterium seiner kenntnisreichen Kritik bildet die Idee der durch KI nachlassenden Neuroplastizität des Gehirns, erweitert durch den menschenkundlichen Hinweis Rudolf Steiners, wonach unser Gehirn ein dienendes Spiegel-Organ unseres Denkens ist.
Was mich an Ingo Leipners Buch fasziniert, ist nicht nur der von ihm geöffnete Blick auf die bedrohliche Welt der KI, sondern auch seine Art, komplizierte Zusammenhänge in flüssigem Erzählton einfach zugänglich zu machen. Soviel sei verraten: Nach der Lektüre fühlt man sich ein Stück wacher als Zeitgenosse."
ChatGPT und Co. sind bereits Alltag. Doch kaum jemand fragt, wie sie unser Bewusstsein verändern. Buchautor Ingo Leipner versucht, eine Antwort zu geben.
Merken wir eigentlich, was ChatGPT mit uns anstellt? Die Frage begegnet uns schon in einer einfachen Situation: Wir sind mit unseren Ideen für eine Headline unzufrieden, da „schenkt“ uns das System eine überraschende Überschrift - auf Knopfdruck! Das sorgt für ein kurzes Glücksgefühl … Doch wer am Rechner sitzt, versäumt wieder eine Gelegenheit, ein paar Minuten sein Bewusstsein zu trainieren, indem er die richtigen Worte sucht. Das kann nicht ohne Folgen bleiben.
„Use it, or lose it”, heißt es im Sport. Etwas frei übersetzt: “Trainiere – sonst verlierst Du Deine Muskeln“. Ein Sachverhalt, der unmittelbar einleuchtet, wenn es um Leichtathletik geht. Was aber für die Muskulatur gilt, ist genauso wichtig für das Gehirn. Das Phänomen nennt sich Neuroplastizität: Sie ist der entscheidende Faktor, damit kognitive Fähigkeiten entstehen und erhalten bleiben, und zwar vom ersten Schrei bis ins hohe Alter. Dabei entwickeln sich immer „breitere“ Wege im Gehirn, auf denen Milliarden von Synapsen kommunizieren.
Doch diese neuronalen Verbindungen müssen wir ständig nutzen, damit sie wachsen und immer besser arbeiten. So schärfen wir unseren Verstand. (...)
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ChatGPT in der Bildung: Ein Füllhorn gewaltiger Möglichkeiten? Eine Büchse der Pandora? Die Entscheidung fällt leicht, wie Buchautor Ingo Leipner meint.
Wer war Pandora? In der griechischen Mythologie öffnet die unglückselige Frau eine Büchse, wodurch alles Elend der Welt herausströmt und die Menschheit befällt. Doch viele Menschen erleben ChatGPT eher als Füllhorn, das seit der Antike ein mythisches Symbol für Überfluss und Reichtum ist. Denn: Das Sprachmodell bietet unendlich viele Möglichkeiten, dem Nutzer zu Diensten zu sein. Gerade in Schule und Hochschule.
„Etwas zu verbieten, wozu jeder Schüler und jede Schülerin außerhalb der Schule jederzeit Zugang hat, wird Schule eher schwächen als stärken“, sagte Peter Meidinger dem Sender BR24. Er war bis 2023 Präsident des Deutschen Lehrerverbandes. Das klingt nach Kapitulation, oder Meininger weist schlicht auf die Macht des Faktischen hin. Wer an Verbote der KI in der Schule denkt, könnte genauso gegen Windmühlen reiten …
Was sollte also statt Verboten passieren? Das Gegenteil, wie ein Fachartikel auf lehrer-online.de empfiehlt ("ChatGPT: 16 Wege zur Nutzung im Unterricht"). Da lautet der 9. Tipp: „Lassen Sie ChatGPT Texte zusammenfassen, um gerade Gelesenes zu verinnerlichen“. Dazu sollen Schüler durch „Prompts“ (Eingaben) das Kapitel eines Werkes „resumieren lassen“. (...)
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Technologie schafft den „Himmel auf Erden“ – so zumindest die gewaltige Heilsbotschaft, aufgeladen mit spiritueller Symbolik, die vom Marketing im Silicon Valley verbreitet wird. Zeit, solche scheinheiligen Hoffnungen gründlich zu entzaubern.
Es wird immer eine „frohe Botschaft“ verkündet. So glaubt ein Spezialist für autonomes Fahren, Anthony Levandowski: Künstliche Intelligenz (KI) werde den „Himmel auf Erden“ bringen. Weiter sagt er in einem Interview mit Bloomberg: „Wir erschaffen tatsächlich eine Technologie, die sehen kann und überall existiert.“ Sie könnte hilfreich sein und die Menschen leiten – Fähigkeiten, „die eigentlich Gott zugeschrieben werden“, so der Technologe.
Der Hintergrund: „In den letzten vier Milliarden Jahren“, sagt Levandowski, „hatten wir organische Lebensformen, aber jetzt ändern sich die Dinge zum ersten Mal.“ Es werde auf der Erde anorganische Lebensformen geben, ist sich der KI-Experte sicher. Wie sie genau aussehen? Das wisse er nicht. „Aber wir
werden diese Lebensformen mit magischen Kräften ausstatten“, sagt Levandowski. Der Auto-Experte gründete 2015 sogar die erste KI-Kirche, die bis 2021 Bestand hatte. Der Name: "Way of the Future“. Noch 2017 erklärte diese „spirituelle“ Organisation: Ihre Aktivitäten konzentrierten sich auf „die Verwirklichung, Akzeptanz und Anbetung einer Gottheit auf der Grundlage von künstlicher Intelligenz, die durch Hard- und Software entwickelt wurde.“
2021 scheiterte zwar diese Kirche, aber Levandowski fühlt sich wieder im spirituellen Aufwind, seit der Hype um ChatGPT ausgebrochen ist: „Ein paar tausend Menschen“ würden erneut seinen Ideen folgen.
Zeichnet sich da ein neuer Trend ab? Anna Puzio stellt fest, „dass religiöse Motive wie Heilsvorstellungen, paradiesische Motive, Unsterblichkeitsstreben, Beseitigung von Leid, Allmachts- und Schöpfungsvorstellungen im Technikdiskurs auftauchen.“ Sie ist Theologin und forscht unter anderem zu Themen der Technik-Anthropologie und Technik-Ethik. Ihre Dissertation hat sie über die transhumanistische Bewegung geschrieben. (...)
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