Schreiben für die Schülerzeitung

Materialien / Fake News


Schein und Sein

Besuch einer Ministerin

Eigentlich ein Beispiel für intelligente Zusammenarbeit: „20 Kilometer trennen ihre Klassenräume voneinander, doch das hindert sie nicht am gemeinsamen Lernen: Vor einer virtuellen Tafel tauschen sich Schülerinnen und Schüler des Leininger-Gymnasiums in Grünstadt per Internet mit Mitschülern des Wormser Gauß-Gymnasiums über ihre Erfahrungen mit einer Partnerschule in Ruanda aus. (…) Dazu diskutieren sie vor der Webcam mit ihren Online-Klassenkameraden und kleben virtuelle Notizzettel an das sogenannte ‚neXboard‘.“

 

Der Text steht auf der Website des Bundesbildungsministeriums, er wird illustriert durch ein Foto, das die Schüler in Aktion zeigt vor einem gewaltigen 4k-Bildschirm. Alles prima! Wirklich? Die Schüler demonstrieren fotogen ihre Zusammenarbeit, als Bildungsministerin Johanna Wanka im Juni 2017 das Grünstädter Gymnasium besucht, um die „Schul-Cloud“ zu starten. Die ganze Szene ist eine reine Medieninszenierung: Wenig später ist zu beobachten, wie drei Männer den schweren Bildschirm aus der Schule tragen. Diebstahl am hellligten Tage? Brauchen die Schüler nicht diesen Bildschirm für das Ruanda-Projekt?

 

Nein, die Firma „neXboard“ hat für diesen einen Tag die „virtuelle Tafel“ zur Verfügung gestellt -  als Leihgabe. „Kostet 10.000 Euro, das kann sich keine Schule leisten“, ist als Auskunft zu hören. So produziert das Bundesbildungs-ministerium selbst Anschauungsmaterial, an dem Redakteure von Schülerzeitungen ihre Medienkompetenz schärfen können. Aber: Hand aufs Herz! Wer den Abtransport der „virtuellen Tafel“ nicht erlebt hat, glaubt immer noch an diese Fake-News.

 

Quelle: "Die Lüge der digitalen Bildung"


Soziale Netzwerke

Politische Hetze

 

Wie schwierig auf den ersten Blick „Fake News“ zu erkennen sind, zeigte 2016 eine Facebook-Nachricht, die auf einer wahren Vorgeschichte aufbaut, um die Plausibilität der Meldung zu erhöhen. Raffiniert! 

 

Im Sommer 2016 hatte ein Flüchtling bei Würzburg mehrere Bahnreisende mit Axt und Messer schwer verletzt; auf der Flucht wurde er von der Polizei erschossen. Renate Künast (Bündnis 90 / Die Grünen) schrieb dazu auf Twitter: “Tragisch und wir hoffen für die Verletzten. Wieso konnte der Angreifer nicht angriffsunfähig geschossen werden??? Fragen!“ Das löste eine Shitstorm aus … Künast wurde unterstellt, zu viel Mitleid mit dem Täter zu zeigen.

 

Und die Ausläufer dieses Sturms nutzten Fälscher im Dezember 2016, um ihre eigene Nachrichtensuppe zu kochen. Hintergrund war der Mord an einer Freiburger Studentin, die vorher vergewaltigt wurde. Als Angeklagter steht gerade ein afghanischer Flüchtling vor Gericht. Die Fälscher brachten auf „Facebook“ ein Bild der Politikerin in Umlauf, versehen mit dem angeblichen Zitat: „Der traumatisierte junge Flüchtling hat zwar getötet, man muss ihm aber jetzt trotzdem helfen.“

 

Drei Tage dauerte es, bis „Facebook“ diese „Fake News“ löschte … in dieser Zeit war sie Wasser auf rechten Mühlen, um der Politikerin Sympathie mit Terrorverdächtigen zu unterstellen. Die perfide Wirkung dabei: Der echte Würzburg-Tweet steigerte die Wahrscheinlichkeit, dass User die böswillige Verdrehung für bare Münze nehmen würden. So tragen wirklich gefährliche „Fake News“ eine Tarnkappe aus Plausibilität. 

 

Quelle: "Die Lüge der digitalen Bildung"

 


"Es ist dem Untertanen untersagt, den Maßstab seiner beschränkten Einsicht an die Handlungen der Obrigkeit anzulegen" 

Gustav von Rochow (preußischer Innenminister, 19. Jahrhundert) 


John Locke und David Hume

Ein Ausflug in die Philosophie

 Auch wenn der preußische Innenminister anderer Meinung war ... Kritikfähigkeit ist ein hohes Gut in demokratischen Gesellschaften. Wie wichtig sie ist, zeigt Prof. Volker Lingnau. Er stellt die Frage: "Gibt es die lilafarbene Kuh?" Dazu sein humorvolles Gedankenexperiment:

 

"Auf einer Zugfahrt durch die Schweiz wacht ein Reisender nur einmal auf und sieht eine lilafarbene Kuh. Welche Erkenntnisse können zulässigerweise aus dieser Beobachtung gewonnen werden? Es ist offensichtlich, dass der allgemeine Satz‚ alle Kühe haben die Farbe Lila, genauso unzulässig ist wie die Behauptung mit räumlicher Einschränkung, also ›in der Schweiz haben alle Kühe die Farbe Lila‹. Doch auch weitere Konkretisierungen führen zu keinen gültigen Schlussfolgerungen."

 

Nehmen wir also Platz in Lingnaus Zugabteil und verfolgen, wie sein origineller Gedankengang weitergeht: Falsch könnte es schon sein, aus der Existenz einer lilafarbenen Kuh zu schließen, dass in der Schweiz viele Kühe so aussehen. Wir haben ja nur eine solche Kuh gesehen. Nächster Schritt: Wir treffen eine zeitliche Einschränkung, so dass wir behaupten, nur während der Zugfahrt eine lilafarbene Kuh gesehen zu haben. Das ist zwar korrekt, weil sich für die Zeit vor und nach der Zugfahrt keine Aussage treffen lässt. Aber eine generalisierende Feststellung ist so auch nicht möglich. Lingnau: "Der einzig zulässige, weil nicht wahrheitserweiternde Schluss liegt in der genauen Wiedergabe des beobachteten Sachverhalts."

 

Glücklich werden wir damit aber nicht: Wir könnten zwar festhalten, während der Zugfahrt genau eine lilafarbene Kuh entdeckt zu haben. Aber eventuell stehen davon mehr auf Schweizer Wiesen … Und wer kann sich sicher sein, dass die Kuh auf beiden Seiten lila war? Niemand. Daher lautet nach Lingnau die einzige, akzeptable Aussage: "Während meiner Bahnfahrt gab es in der Schweiz mindestens eine Kuh, die auf mindestens einer Seite lilafarben war."

 

Mit dieser Geschichte landen wir in einem Teilgebiet der Philosophie, der Erkenntnistheorie. Und siehe da: Uralte Fragestellungen gewinnen im digitalen Zeitalter eine neue Bedeutung. So argumentierte David Hume (1711–1776):

 

"Alle Folgerungen aus der Erfahrung setzen als ihre Grundlage voraus, dass die Zukunft der Vergangenheit ähnlich sei und ähnliche Kräfte mit ähnlichen Sinnesqualitäten verbunden sein werden.« Weil diese Annahme empirisch nicht haltbar ist, folgert der Philosoph: »Es ist daher unmöglich, dass irgendein Erfahrungsbeweis [die] Ähnlichkeit der Vergangenheit mit der Zukunft erweisen könnte. Mag der Gang der Dinge bislang noch so regelmäßig gewesen sein, so kann das allein nicht beweisen, dass es auch in Zukunft so bleiben werde."

 

Jahre zuvor hatte John Locke (1632–1704) über dasselbe Problem nachgedacht – und einen anderen Schluss gezogen:

 

"Wer in den gewöhnlichen Dingen des Lebens nichts gelten lassen wollte als den direkten, klaren Beweis, hätte auf dieser Welt nur die einzige Gewissheit, dass er bald zugrunde gehen werde. Die Bekömmlichkeit von Speise und Trank würde ihm für eine Probe nicht ausreichend begründet erscheinen, und ich möchte wohl wissen, was er überhaupt noch tun könnte, wenn es nur aus Gründen geschehen sollte, die für keinerlei Zweifel und Einwand mehr Raum lassen."

 

Wer hat recht? Darüber sollten Redakteure von Schülerzeitungen nachdenken – als Vorbereitung auf das digitale Zeitalter. Wer Denkgewohnheiten infrage und Sachverhalte auf den Kopf stellt, wird auch in der Lage sein, differenzierte Ergebnisse bei Internetrecherchen zu erzielen. Informationelle Kompetenz beginnt, wenn die endlosen Ergebnislisten von Google systematisch durchkämmt werden, um valide Informationen zu finden. Der Blick für geeignete Quellen entscheidet – und nicht das blitzschnelle Eintippen von Suchbegriffen bei Google.

 

Nie war Philosophie so wertvoll wie heute! Medienkompetenz beginnt mit der Reflexion der Welt, und vor allem mit dem Nachdenken über die eigene Innenwelt. Wer sich durch Locke und Hume durchbeißt, lässt sich weniger verführen, wenn digitale Sirenen ihre Gesänge anstimmen. Er gewinnt einen kritischen Abstand zu medialen Einflüsterungen aller Art, egal ob online oder offline. Denn: Gerade im digitalen Zeitalter müssen wir lernen, gut verpackte Informationen nicht für bare Münze zu nehmen. Der Skeptiker Hume lehrt uns, wie beschränkt unsere Möglichkeiten sind, Wahrheiten zu erkennen.

 

Quelle: "Die Lüge der digitalen Bildung"